Stellen Sie sich vor, ein potenzieller Kunde oder Bewerber versucht, Ihre Website zu nutzen. Er ist auf einen Screenreader angewiesen oder kann die Maus nicht bedienen. Funktioniert Ihre Seite trotzdem problemlos? Für viele Menschen ist Barrierefreiheit nicht nur Komfort, sondern Grundvoraussetzung für digitale Teilhabe.
Und für Unternehmen wird sie zur Pflicht: Ab dem 28. Juni 2025 müssen laut European Accessibility Act (EAA) viele digitale Produkte und Dienstleistungen in der EU barrierefrei sein. Deutschland und Österreich haben diese EU-Richtlinie bereits in nationales Recht übertragen. Wer nicht rechtzeitig reagiert, riskiert ab Mitte 2025 Abmahnungen, Bußgelder und Imageschäden.
Wir zeigen, was das konkret für Deutschland, Österreich und die Schweiz bedeutet und wie gut sich Odoo für barrierefreie Websites eignet.
Barrierefreiheitsgesetze im DACH-Raum
Barrierefreiheit ist in Europa nicht einheitlich geregelt - jedes Land in der DACH-Region hat seine eigene rechtliche Herangehensweise und seinen eigenen Zeitplan, obwohl sich alle stark an denselben internationalen Standard für Barrierefreiheit orientieren: die WCAG.
🇩🇪 Deutschland: BFSG & BITV 2.0
In Deutschland tritt am 28. Juni 2025 das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Es verpflichtet Unternehmen, ihre digitalen Dienstleistungen (z. B. Websites, Onlineshops oder Terminals) barrierefrei anzubieten, sofern sie nicht als Kleinstunternehmen gelten.
Für öffentliche Stellen gelten bereits heute die Anforderungen der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0), die sich am WCAG 2.1, Level A und AA orientieren.
🇦🇹 Österreich: BaFG
Auch Österreich setzt den EAA um, mit dem Barrierefreiheitsgesetz (BaFG), das ebenfalls am 28. Juni 2025 in Kraft tritt. Unternehmen (außer Kleinstbetrieben) müssen dann sicherstellen, dass ihre digitalen Angebote barrierefrei zugänglich sind.
🇨🇭 Schweiz: BehiG & BehiV
Die Schweiz ist nicht Teil der EU, hat aber eigene Regelungen zur digitalen Barrierefreiheit: Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) und die Verordnung über barrierefreie elektronische Informationssysteme (BehiV) verpflichten primär den öffentlichen Sektor. Für private Unternehmen gelten derzeit noch keine verbindlichen Vorgaben, aber: Viele Standards orientieren sich bereits heute an den WCAG. Auch für international tätige Unternehmen wird Barrierefreiheit damit zunehmend relevant.
Was ist der WCAG Standard?
Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) sind ein internationaler Standard für digitale Barrierefreiheit und bilden die Grundlage für gesetzliche Vorschriften in vielen Ländern, darunter Deutschland und Österreich. Beide Länder haben Gesetze zur Barrierefreiheit erlassen, die sich auf die WCAG beziehen oder diese als Maßstab verwenden.
Was bedeutet das für Odoo-Websites?
Odoo bringt ein solide technisches Fundament mit, doch eine Standard-Odoo-Website erfüllt nicht automatisch die Anforderungen der WCAG 2.1 (Level AA). Es kommt auf folgende Faktoren an:
- Verwendetes Theme: Nicht alle Themes sind barrierefrei gestaltet. Farbkontraste, Navigation und HTML-Struktur spielen eine große Rolle.
- Code-Anpassungen: Individuelle Änderungen im Code können die Barrierefreiheit verbessern oder unbeabsichtigt verschlechtern.
- Aktive Zusatzmodule & -apps : Drittanbieter-Module berücksichtigen WCAG-Vorgaben nicht immer konsequent.
So wird der WCAG in Odoo umgesetzt
Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) sind der internationale Standard für digitale Barrierefreiheit. Sie gliedern sich in vier Prinzipien: Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit.
Wahrnehmbarkeit
- Alt-Texte für Bilder: In Odoo lassen sich Alternativtexte hinzufügen. Dies muss aber manuell gepflegt werden.
- Farbkontraste: Viele Standard-Themes erfüllen die Anforderungen, dennoch sollten Kontraste individuell überprüft werden.
- Screenreader-Unterstützung: Grundsätzlich kompatibel, aber empfehlenswert sind Tests mit Tools wie NVDA, JAWS oder VoiceOver.
Bedienbarkeit
- Tastatur-Navigation: Wird meist unterstützt, kann aber durch individuelles JavaScript beeinträchtigt werden.
- Fokus-Indikatoren: Standardmäßig vorhanden, aber oft unscheinbar. CSS-Anpassungen können hier helfen.
- Keine Zeitlimits: Odoo setzt keine automatischen Zeitlimits, was positiv ist.
Verständlichkeit
- Klare Sprache: Inhalte müssen verständlich sein. Das liegt in der Verantwortung der Redakteure, nicht des Systems.
- Konsistente Navigation: Odoo bietet Menüs und Breadcrumbs. Bei individuellen Menüstrukturen sollte auf Einheitlichkeit geachtet werden.
Robustheit
- Valides HTML: Der Odoo-Core erzeugt in der Regel sauberen Code. Erweiterungen können das beeinflussen.
- Kompatibilität mit Assistenztechnologien: Regelmäßige Tests mit Tools wie WAVE, Axe oder Lighthouse sind empfehlenswert.
So gestalten Sie Ihre Odoo-Website barrierefrei
Barrierefreiheit erfordert nicht zwangsläufig eine völlige Neugestaltung, sondern gezielte Optimierungen. Die wichtigsten Maßnahmen:
- Theme prüfen & anpassen: Farben, Kontraste, Fokus-Anzeigen und HTML-Struktur überarbeiten.
- Alt-Texte ergänzen: Alle Bilder und Medien mit Alternativtexten versehen.
- Tastatur-Navigation testen: Alle interaktiven Elemente müssen mit der Tab-Taste erreichbar sein.
- ARIA-Rollen ergänzen: Unterstützt Screenreader bei der Interpretation von Elementen.
- Regelmäßige Tests durchführen: Mit automatisierten Tools und echten Nutzer*innen mit Behinderung.
- Feedback einholen: Von Betroffenen oder Barrierefreiheits-Expert*innen testen lassen.
